Die Kinder stärken! Resilienz in Corona-Familien-Zeiten

Bis endlich wieder Klassengruppen gemischt werden dürfen und ich wieder Religion unterrichten darf, bin ich häufig in einer 2. Klasse als Vertretung eingesetzt. So fielen mir kleine Schuljahresanfangs-Heftchen in die Hand und ich entdeckte die oberen Sätze.

Malin und Tom (alle Namen frei erfunden) fassen in Worte, was ich immer wieder beobachtet habe: Das Thema Corona und all seine Konsequenzen, Maßnahmen und Regelungen, ist eine Belastung und liegt auf der Lebensfreude einiger Kinder wie ein Schleier. Kinder, die sich auf dem Schulhof mit Maske bewegen, damit rennen, raufen, schreien und lachen, sie wirken wie „gedeckelt“.

Im Klassenraum liegt so manche Maske mal auf dem Fußboden, der Biss ins Brot kann oft nicht warten, bis Max an 20. Stelle endlich ans Waschbecken darf, um seine Hände zu waschen, Meike wird richtig nervös, wenn nicht alle Fenster richtig offen stehen: Gestern Abend wurde in der Sendung „Logo“ nämlich erklärt, dass gekippte Fenster nichts bringen! Vorschriften, Regeln, Absperrungen, Schilder, Pfeile, Verbote, latent angespannte LehrerInnen…all das wirkt auf Kinder, hinterlässt Eindrücke und Spuren. Es ist ja auch nicht so, als gäbe es nicht noch andere Regeln eines Schul- oder auch Kindergartenvormittags; das alles bringt das Frustration-Fass durchaus einmal zum Überlaufen.

Mein Anliegen ist es nicht, Hygieneregeln oder -konzepte zu kritisieren, zu relativieren oder zu ignorieren. Im Sinne der Familienresilienz stelle ich aber die Fragen:

Wie genau können Eltern ihre Kinder, unabhängig vom Alter, darin stärken, mit dieser Situation einen guten Weg zu finden? Wie kann es gelingen, sie zu unterstützen, in und trotz dieser Ausnahmesituation?

„Der Begriff Resilienz umfasst die Fähigkeit eines Kindes, mit Druck und Belastungen fertigzuwerden, die täglichen Herausforderungen zu bewältigen, sich angesichts von Enttäuschungen oder unerfreulichen…. Erfahrungen rasch wieder zu fangen… (und) … sich selbst und anderen mit Respekt zu begegnen.“ (21)

Was brauchen Malin und Tom, wenn sie mittags oder nachmittags, vielleicht nach weiteren Stunden in der Betreuung mit weiteren Regeln, nach Hause kommen? R.Brooks und S. Goldstein sind nach jahrelanger Arbeit mit Familien davon überzeugt, dass „jede (!) Interaktion mit unseren Kindern…für uns Eltern zugleich eine Möglichkeit (ist), ihnen zu innerer Stärke und Widerstandskraft zu verhelfen.“ (24) Zugegeben, das ist eine große Verantwortung, doch es ist zugleich eine wunderbare Chance!

Nehmen wir einmal an, dass Malins Eltern selbst vorbildlich für sich und ihre eigene Resilienz sorgen und der ganzen Situation grundsätzlich mit Gelassenheit und Vertrauen begegnen: Bei einem gemeinsamen Mittagessen oder Nachmittagskakao hören sie Malin erst einmal zu, wenn er von dem Morgen erzählt oder sie stellen gezielt und empathisch Fragen: „Wie klappt das eigentlich mit dem Händewaschen? Das dauert doch bestimmt lange, oder? Was brauchst Du für morgen? Hast Du noch eine saubere Maske? Steck dein Handtuch mal in die Wäsche!“

Das Absurde und Anstrengende der Situation, dass Malin morgens Tom mit Maske begegnen muss, die beiden Nachbarjungen nachmittags aber immer einfach so spielen können, wird mit Verständnis aufgenommen, doch gleichzeitig an die Akzeptanz appelliert: So ist das momentan in allen Schulen, ihr müsst versuchen, es richtig gut zu akzeptieren! Malin treibt noch um, was Meike gesagt hat: Der Löffel, den ich mit ungewaschenen Fingern anfasse, bekommt auch Corona, stimmt das? Dann kann ich mich ja auch an meinem eigenen Ranzen anstecken? Die Eltern vereinbaren, sich mit Malin gemeinsam noch einmal Informationen zu den Wegen der Ansteckung zu besorgen und stöbern auf einer guten Internetseite. Offene Fragen werden im Gespräch geklärt.

Anschließend schicken sie Malin an die frische Luft: Beim Fußballspielen kann er die Irritationen und Eindrücke des Morgens mal so richtig „wegschießen“. Später gibt es ein gemeinsames Abendessen und eine Spielerunde, viel gelebte Normalität als Kraftquelle für den folgenden Tag. Möglich sind auch Familiengespräche oder -konferenzen am Wochenende: Hier können Themen, Fragen oder Schwierigkeiten der Woche mit allen zusammen besprochen und Lösungen gesucht werden. Auch Ausflüge und Unternehmungen, die für alle bereichernd sind, können geplant und organisiert werden: Vieles wird langsam wieder möglich, bei einigen Vorhaben kann man sich vorher über die Bedingungen informieren. Das „Zurückerobern“ einer Normalität, wie sie vorher möglich war, kann Kraft geben. Wir wissen natürlich alle nicht, wie es weitergeht, doch die Zuversicht braucht einen Raum und sie hat Kraft, die auch ansteckend sein kann.

Der Umgang mit Corona und allen Konsequenzen ist selbst für „gestandene“ Erwachsene derzeit eine stete Herausforderung, und sie wird es wohl bleiben, gewiss für die kommenden Monate. Dass dies auch uns umtreibt, beschäftigt, verunsichert, ärgert und belastet spüren die Kinder natürlich, selbst wenn es nicht thematisiert wird.

Egal in welchen Zusammenhängen wir Kindern begegnen, ob als Eltern, im Kindergarten oder in der Schule, ist es gut, eine Haltung der Zuversicht und Lösungsorientierung einzunehmen, im Sinne einer Verantwortung für ihre (und unsere) Resilienz.